Montag, 17. Januar 2011

Rezension: Albion

Klaus-Jürgen Wrede: ALBION für 2 bis 5 Personen, Amigo 2009

Intrigante Römer - träge Pikten

Ich war dabei. Ich kenne Britannien. Mit der II. Legion Augusta bin ich in Albion eingefallen. Es ist der zweite Anlauf. Nur weil Julius Caesar seine Kriegskasse vor den nachrückenden Pikten in einem Sumpf versenkt hat, müssen jetzt Marco, Cato und ganz viele Legionäre erneut über den Kanal. Der nicht ganz so helle, dafür umso mutigere Zenturio Marco und sein junger schwächlicher, dafür natürlich umso kluger Optio Cato – ein klassisches Duo. Sie und ich fallen in Albion ein, damit Zivilisation zu den Pikten kommt. Für die nächsten 400 Jahre. An Marcos und Catos Seite habe ich Seite um Seite alles durchlebt: Schlachten geschlagen, bin Intrigen entgangen und habe Mordkomplotts überlebt. Ich habe Simon Scarrows Eagle-Serie gelesen. Endlich nicht nur über Haudrauf und Schluss lesen, endlich auch spielen!

Nuja, ALBION ist nicht BRITANNIA sondern ein Amigo-Spiel. Mit anderen Worten: ALBION bietet nichts von alledem, was ich mir erhofft habe. Hätte ich mir ja vorher denken können, dass Amigos Pikten eher harmlos sind. Die Eroberung Britanniens bleibt so ein logistisches Problem. Zunächst ist man knapp an allem: an Siedlern, an Bewegungsmöglichkeiten, an Rohstoffen, an Schutz und an Siedlungen. Und Rom ist auf den Süden beschränkt.

Und was tut ein guter Römer? Er schickt seinen Siedler zum Bauen nach Norden. Order von Imperator Claudius Maximus: Jeder darf in jeder Provinz entweder ein Kastell, eine Festung oder eine Siedlung bauen. So ziehen die Römer zwangsläufig immer weiter nordwärts, sogar bis kurz vor die schottische Grenze. In einer der drei nördlichsten Provinzen muss man zwingend eine Siedlung bauen, sonst kann man nicht gewinnen. Und alle eigenen drei Siedlungen muss man bis zur vierten Stufe ausbauen, sonst nimmt ALBION kein Ende.

Hat man Siedler vor Ort und genügend Rohstoffe auf Lager, darf man eine oder mehrere Provinzen bebauen. Und was macht ein römischer Siedler nach getaner Arbeit? Zieht sich zurück in den Süden. Von dort muss man ihn wieder losjagen. Was hilft gegen Trägheit? Man baut Kastelle, um die Reichweite der Siedler zu erhöhen, damit Siedler in einem Rutsch möglichst weit nach Norden kommen. Aber immer schön daran denken: In jeder Provinz nur ein eigenes Gebäude, die Wege zu freien Baugrundstücken werden automatisch länger.

Und was machen die Pikten, wenn ein Siedler baut? Zuschauen? Vielleicht ... aber nur, wenn der dann aufzudeckende Pikten-Chip kein Hackebeilchen zeigt. Hackebeilchen bedeutet Krieg. Alle römischen Bauherren in der Provinz müssen sich verteidigen, nicht nur der aktuelle Bauherr. Die Festungen kommen ins Spiel – nicht ein einziges Kastell, die dienen nur der Bewegung. Hat man Legionäre im selben Feld, zählen diese ebenfalls zur Verteidigung dazu. Jede Festung, egal wo errichtet, zählt immer mit. Man muss mindestens die Stärke aller offen liegenden Hackebeilchen erreichen, um ungeschoren davon zu kommen. Ansonsten muss man eine Gebäudestufe zurück bauen. Das ist ärgerlich. So könnte man die anderen Römer zwischendurch kurzfristig ein wenig ärgern, zumal in einigen Provinzen einige Hackebeilchen aufgedruckt sind und das Aggressionspotenzial der Pikten kalkulierbar ist. Aber eine wirkliche Bedrohung stellen die Pikten nicht dar. Es sind doch eher faule, feige und fügsame Säcke. Wer will, darf mit eigenen Legionären verdeckt liegende Pikten-Chips transportieren. Das läuft dann so ab: Mit der ersten Bewegung einen Pikten in die Provinz bringen, in der ein eigener Siedler bauen wird. Natürlich verfügt man über die nötige Verteidungskraft und die anderen eben nicht, wenn der Pikte infolge eigener Bautätigkeit aufgedeckt wird. Die Chancen stehen 50:50 für oder gegen Stunk. Aber weshalb sollte man so komplizierte Winkelzüge machen? Man optimiert besser die eigene Position und schafft sich eine effiziente Logistik inklusive sicherer Verteidigung.

Dazu muss man allerdings auch Siedler in die vier Rohstoffprovinzen schicken. Erstaunlicherweise leistet dort kein Pikte Widerstand. Statt die Römer an der Wurzel ihres Nachschubs zu packen, schauen sie zu, wie die Römer Fische, Steine, Holz und Gold erwirtschaften. Die Rohstoffe sind hübsch: Formschöne Fische, Baumstämme, Steine und Goldbarren. Statt die Siedler zu bewegen und zu bauen, nimmt man sich Rohstoffe. Und die braucht man reichlich, denn nur die erste Ausbaustufe eines Bauwerks kostet einen beliebigen Rohstoff. Jede weitere Stufe einen anderen Rohstoff zusätzlich. Für die vierte Ausbaustufe einer Siedlung sind zwingend vier verschiedene Rohstoffe erforderlich. Also muss man spätestens fürs Endspiel auch in der nördlichen Goldprovinz eine Rohtstoffausbaustufe errichten.

Aber es gibt noch eine typisch römische Art Rohstoffe zu erhalten. Wer als Erster in einer Provinz baut und den Nachkömmlingen eine Ausbaustufe voraus bleibt, kassiert mit. Ein Rohstoff wandert in die Hand des Erstankömmlings an aller anderen Bauherren mit besser Ausbaustufe. Kein Wunder also, dass sich die Römer rasch ausbreiten. Nur ist mir nicht ganz klar, warum sich Römer gegenseitig ausnehmen. Liegen in der Eroberung Britanniens die Wurzeln des Schmiergelds? Besonders die Provinzen in der Mitte Britanniens sind bevorzugte Bauplätze, denn dort locken Tributzahlungen.

Theoretisch könnte ALBION tatsächlich ein gutes Spiel sein. Ich hätte es mögen wollen. Allein dieser Satz lässt Ihre Alarmglocken schrillen. ALBION entpuppt sich als trockenes Logistikproblem, bei dem es irgendwann niemanden mehr interessiert, was die anderen tun. Auf dem Brett wird es zunehmend unübersichtlicher, so dass ich nur noch stur meinem Plan folge. Ich weiß dann, wie viele Züge ich noch zum Sieg benötige. Und die anderen? Egal, denn beeinflussen könnte ich es sowieso nicht mehr. Deshalb gibt es eine sehr spezielle Gleichstandregel. Wenn in derselben Runde mehrere die Siegbedingung erfüllen, werden die Hackebeilchen in den Feldern mit den Siedlungen verglichen. Wären Legionäre wirklich wichtig gewesen? Hätte man mit ihrer Hilfe Pikten herbei schaffen müssen? Bei einer 50:50 Chance auf Hackebeilchen ein eher glückliches Unterfangen. Diese Gleichstandsregel ist nur ein Hilfskonstrukt für eine eher schwaches, manchmal ziemlich unbefriedigendes Ende. Oder bin ich nur noch nicht auf wirklich aggressive Mitspieler gestoßen? Sollte sich jemand der Pikten bedienen, freuen sich alle unbeteiligten Römer. Der Aggressor und sein Opfer verlieren gegenüber den friedlichen Optimierern an Tempo. Und Tempoverlust halte ich in ALBION für tödlich.

Wolfgang Friebe

Zum Nachlesen
Simon Scarrow: Under the eagle, first published in 2000 by Headline Book Publishing (das erste Buch der Serie, die auch auf deutsch erschienen ist)

Vier Fragen an Klaus-Jürgen Wrede:
(wf) Warum müssen die Siedler immer zurück in den Süden?
(kjw) Das simuliert den ständigen Siedlerstrom von unten. Die Siedler siedeln sich ja in den Gebieten an, in denen gebaut wird, dann kommen halt neue Siedler von unten nach. Es sind also nie dieselben, sondern neue Siedler unten im Süden.
(wf) Wie viele Siedler sind sinnvoll?
(kjw) Da gibt es kein Patentrezept. Einer ist aber definitiv zu wenig, 2 kann man schaffen, ist aber auch was knapp. Daher würde ich persönlich zu mindestens 3 neigen, auch wenn nicht immer alle bewegt werden, so kann ein guter Standort oder ein überflüssiger Bewegungspunkt, der noch verwendet werden kann, zur richtigen Zeit auch wichtig sein.
(wf) Wie können Legionäre sinnvoller agieren, statt nur herum zu stehen?
(kjw) Das hängt natürlich vom Spielertemperament ab. Die können schon ganz schön Unruhe stiften durch den Piktentransport in scheinbar „sichere“ Gegenden. Zudem schützen sie ja Felder zusätzlich - quasi als mobile Festung. Wenn man eine Strategie z.B. mit hoher Fortverteidigung spielt, muss man die Möglichkeiten nicht ausschöpfend nutzen. Aber da man die Möglichkeiten ja hat und zudem viele andere Sachen machen müsste, sollte man immer möglichst knapp kalkulieren, und da würde ich sie dringend verwenden.
(wf) Warum zahlen sich Römer untereinander Tribut?
(kjw) Wie ein berühmter Denker schon mal sagte: „Die spinnen, die Römer...“ Aber im ernst, das ist wie überall. Einer kommt zuerst und meint dann mehr Rechte zu haben als andere und bekommt halt was dafür. Einfach eine Konkurrenzsituation wie überall auf der Welt - nicht nur bei den Römern ...

Zuerst veröffentlicht in der Fairplay

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